Dante Alighieri

1265 – 1336

In Übersetzungen von 

Rudolf Borchardt

 

 

 

Aus: Vita Nova

 

 

Wer sei enzundener Seele und edeles Herzen

dem käme, das ich sage, zu Gesichte:

auf daß ers nach bedünken mich berichte:

Gruß in ihr aller Herren: das ist Minne.

 

Es waren schon beinächst die vollen Terzen

der Zeit von jedes Sternes größtem lichte,

da mir der Minnen Gott kam zu gesichte,

und graust mich noch, so ichs in mir besinne.

 

lustig bedeuchte er mich, und war, als hab er

mein Herze in Hende und tät in armen Weisen

Meinfrauen schlafende in ein Tuch geschlagen.

 

Die weckt er, und dies glühende Herze gab er

ichr schüchternen demütiglich zu speisen:

hierauf sah ich ihn ziehn und Thränen klagen.

 

 

 

Weil Minne weinet, weinet all die ihr minnet

und höret was ihn machte zu einem armen:

er höret frauen schrein das gotterbarmen

dieweil ihn bitter weh durch die augen rinnet,

 

dar um daß schnöder Tod nun hat getrieben

an edlem Herzen sein verrucht gewerbe

da von was all die Welte pries verderbe

und nicht wann nur ihr Adel ist geblieben:

 

vernehmet was ihr ehren bot Amor,

wann ich ihn sahe in wahrlicher Gestalt

beklagen das verblichen bilde zarte,

 

und blickete gen Himmel ofte empor

da war zur edlen seele schon bestallt,

die fröhlich war zu sehn und froh gebarte.

 

 

Ehgestern da ich Weges war geritten

schwermütig ob der Fahrt, so mich nicht freute,

fand ich den Minnen Gott in Pfades Mitten

mit losem angethan wie Pilgersleute.

 

Er deuchte mich so jämmerlicher Sitten

alse ihn verlorner Herrlichkeit gereute;

seufzend in Sinnen tief kam er geschritten

und hing die Stirne, nicht zu sehn an Leute.

 

Da er mein ansah, rief er mich bei namen,

und sprach, „von fernem Ziele komm ich gangen

dein Herze hieß ich sein an diesem Ziel,

 

und trags zu dienen in ein neues Spiel-“

Da machte er mich sein also viel empfangen,

daß er verschwand, eh mir die Sinne kamen.

 

 

 

Mein Spotten helfet ihr den andern Frauen

andenkend, Fraue, wannen das ergehe

daß ich als neu ein Bilde für euch stehe

als ofte ich kommen bin eur schöne Schauen

 

könnte auch Barmherzigkeit sonst nicht getrauen

gewappnet wider mich zu stehn als ehe:

dieweil der Minnen Gott in eurer Nähe

greift mich als dreiste und als mit zuvertrauen,

 

daß er durch mein verzageten Geister störe,

schlägt den, und jenen stößt er aus der Kammern

und bleibet eine euch an zu sehen hin;

 

drum ich vertauschet in wen andern bin;

doch also nicht, daß ich nicht dannoch höre

die qualen der verstoßen und ihr Jammern.

 

 

 

Was mir in Sinne liegt, erstirbt dar innen

wenn ich euch, Schöne Freude, schauen geh;

und bin ich dort, hör ich den Herrn der minnen

der sagt: „Entfleuch, und thut dir sterben weh!“

 

die Minne trägt des Herzen farbekranken

das taumelnde um sich greifet, ob es steh,

und durch die trunkenheit im grossen Wanken

ist als die steine schrien „Vergeh vergeh!“

 

Wer dann mich sieht, er stündet sich vor Gott,

der die verlorne Seel nicht auferrichte,

und wärs zu Zeichen nur, ihn Reue mein,

 

durch Herzerbarm, der tötet euren Spott

und wächset aus der toten Angesichte

der Augen, die des Todes wollen sein.

 

 

 

Manicher malen kommt mirs in den Sinn

wie dunkel ein Wesens Minne mir verfaßte;

und reuet mich des also daß ich faste

da spreche „ist auch ein ander, als ich bin?“

 

denn mich berennt der Minne Herre gach

also daß mir des Lebens als gebristet –

ein Geist alleine ist, der sein Wesen fristet,

und der beleibt drum daß er von Euch sprach.

 

So zwing ich mich, und trachte mich erquicken.

und als erstorben, aller tüchte bloß

komm ich für euch, zu heilen das mir fehlet;

 

und heb ich auf die Augen mein zu blicken,

beginnet mir im Herzen stoß und tos

der schafft dem Pulse, daß er sich entseelet.

 

 

 

Minne und ein feines herze ist einerleie

als es der Weise an dem Gedichte sprach,

und ist so eines ohn die ander Sach,

als wie vernünftge Seel Vernünfte freie.

 

Ihm gibt Nature, so sie minnegeret,

den Minnen Gott; und herze ihm zu gemach,

dar inne er schlafende ist und wird nicht wach;

daß ofte kurze und ofte lange währet.

 

an steten Weiben schöne liebet dann

also den Augen, daß dem Herzen inne

ein Sehnen nach dem lieblichen beginne;

 

und währet also lange in ihme etwan

daß es erwecken mag den Geist der Minne;

und also schafft in Frauen stolzer Mann.

 

 

 

In Augen thut Meinfraue Minne tragen,

da durch sie edelet alles das sie sichtet –

kommt sie: man ist nach ihr her um gerichtet,

und wen sie grüßet, thuts durchs Herze schlagen,

 

daß er die Stirne hangend, ganz vernichtet,

all sein Gebrechen seufzende muß klagen –

Jähzorn verstummt vor ihr und Hoffart flüchtet:

Helfet, ihr Frauen, all ihr Lob zu sagen.

 

Allrhande Demut, alle süße Reue

wird innig dem, der höret, das sie spricht;

darum ist selig, der sioe erste ersache;

 

wies anzusehen sei, wanns ein wenig lache, -

es sagt sich nicht, und es gedenkt sich nicht:

also ists adeliges Wunder neue.

 

 

Ihr, so demütige Geberde traget,

und die Augen nieder schlaget als durch Peine,

von Wannen kommt ihr? daß euch so versaget

die Farb, und eitel jammer dran erscheine?

 

habt ihr Meinfraun gesehen da die Reine

die Wangen badt durch Liebe die sie klaget?

sagt mirs, ihr fraun; wann mirs das Herze saget;

denn ich euch nichts an seh, das sei gemeine.

 

und seid ihr ja von solchen Jammer kommen,

beliebe euch hie bei mir zu stehn etwas,

bis ich es alles das ihr ist, vernommen.

 

Ich seh eur Augen, die sind Tränen nass

und seh euch so entstellet wieder kommen:

meuin Herze erzitteret, an zu sehn all das.

 

 

Bistus, der oftmals anhub zu bedeuten

von unsrer Fraun, und sprach zu uns allein?

die Stimme an dir ist wohl als wär sie sein;

doch die Gestalt ist wie von ander Leuten.

 

Ach, von was weinestu also von Herzen

daß wer dich an gesähe ihn jammre dein?

Sahst du sie weinen? daß nicht möge sein

verhalten länger dein Gemüte in Schmerzen?

 

Weinende gehn laß uns, und schwere tragen:

„Er sündet sich wers ja vertrösten wölle“,

in Weinen hörten wir sie also sagen:

 

Ihr antlitze ist also des Jammers Hölle

daß welche es recht zu schaun hätt mögen tragen,

die hätt sich tot geweint da auf der Stelle.

 

 

 

Ich fühlte mir in Herzen neue anfangen

sehnlichen Geist der ruhte in Schlafe dort;

da sahe ich kommen mir den Minnen Hort

und kannte ihn kaume, er trug so frohe Wangen.

 

Der sprach: „Nun laß mich Ehre an dir empfangen“,

und war ein loses Lachen all sein Wort;

und stund nicht lang bei mir, da blickt ich fort

der Gassen nach dann er war kommen gangen,

 

und sahe da fro Vannen und fro Bisen

her zu gehn eben gegen mich und diesen

erst eine und nach die ander wunderreichen.

 

Und als mich das bescheidet die Vernunft,

sprach Minne: „jene heißet Meien Kunft

und diese Minne – also thut sie mir gleichen!

 

 

 

Adelig also und also herrlich zeiget

Meinfraue sich, und dem sie grußes beut:

daß jede Zunge zitternd ist geschweiget,

und daß kein Auge hin zu sehn geträut;

 

da geht sie hin, wie sich höre preisen,

tief in der Güte, und Demut all ihr Kleid,

und ist als wärs ein Ding, in diese Zeit

kommen von Himmele, Wunder zu beweisen.

 

dünket so lieblich den, der sie betrachte,

daß ihm durch Augen Süße ins Herze rinne,

die nie verstünde, der sie nicht erführe;

 

und ist als ob sich von ihr Lippen rühre

irgend ein Geist gelinde und voller Minne,

der fliegt, und saget zu der Seelen: „Schmachte“.

 

 

Geht her vernehmen all die Seufzer mein,

ihr edeln all, wann also wills erbarm:

als welche von mir fahren Trostes arm,

und wärens nicht, mich tötete die Pein;

 

denn ach! Mein Augen würden stellen ein

wohl zu viel öftern maln, denn ichs begehre

Meinfrauen so zu weinen, daß die schwere

durch Zähren möchte mir gesänftet sein.

 

Ihr sollt sie rufen hören zu viel malen

die edel Frauen mein, - die stieg ehgestern

zur Welte die ihr hehren art gebühret, -

 

und unterweilen dieses Leben lästern

in Namen einer armen Seel in Qualen

die all ihr Seligkeit auf eins verlüret.

 

 

 

Mein Augen wurdens innen welch Erbarm

sich thet in euren Mienen offenbaren,

da ihr das stehn ersahet und Gebaren

des ich da lange pflag durch meinen Harm.

 

Ich habs gewahret, wie ihr da bedacht

wie dunkel ein Leben mir nun sei verhangen:

also daß in mein herze kam ein langen

euch zu entdecken alle mein Ohnmacht,

 

und hub mich von euch fort, die weil ich sehnen

empfand, als ob sich Zähre in Herzen hüben

das aufgerühret worden durch eur schauen:

 

Ich sprach hernach zu meiner Seelen trüben:

„Wol jene Minne ist heimlich dieser Frauen,

die mich geschaffen also gehn in Tränen.

 

 

Farbe der Minne und kummervoll erscheinen

befing niemals so wundersam ein Frauen

Antlitze nur durch hin und wieder schauen

auf edele Augen und betrübtes Weinen,

 

als wie das euer, als oft als zu Gesicht

euch kommt mein Mund verschlossen und beklommen

also, das etwas nun ist in mich kommen,

da fürcht ich fast, daß mirs das Herze bricht.

 

Ich wehr es nicht den Augen so zerrüttet

daß sie sich mancher malen vor euch zeigen

durch durst, sich zu ergießen wie ein Brunnen –

 

Und ihr thut also ihn ihr Willen steigen

daß sie von Sehnen sind wie ausgeschüttet:

doch vor euch Weinen ist das sie nicht kunnen.

 

 

Das bittre Tränen, das ist euch geschehen,

ihr Augen mein, durch also lange Zeit,

hat Tränen machen, als ihr oft gesehen

auch ander Menschen durch Barmherzigkeit.

 

Nun dünket mich ihr möchtets schier vergessen

wär ich ein solcher schelm an meinem Teile

und Führe nicht durch euch, und mahnte euch dessen

das ihr beweintet so lange Weile.

 

Eur Eitelkeit macht mich bedenken tragen,

und schreckt mich also daß ich faste scheue

das antlitze einer Frauen, die eur achtet:

 

ihr dürftet nie, eh denn der Tod euch dräue

der Frauen, die da tot ist, euch entschlagen –

so spricht in mir das Herze mein, und schmachtet.

 

 

Edler Gedank der von euch weiß zu sagen,

kommt mich besuchen je und je daher,

und süße also von Minnen redet er,

daß sich das Herze schon will zu ihm schlagen.

 

Die Seele spricht zum Herzen: „Wer ist der,

der trösten kommet unsern Sinn in Klagen,

und ist sein Kraft so mächtig und sein Wagen,

daß anders nicht besteht vor seiner Wehr?“

 

Das Antwort ihr: „O Seele in den Gedanken,

dies ist ein neuer junger Geist von Minne,

drin seine Sehnesüchte zu mir schweben,

 

und all seine macht und all zumal sein Leben

hub sich aus Augen der Erbarmerrinne,

die sich betrübet hat um unser kranken!“

 

 

 

Weh mir! Durch Seufzer viel, die auf erstehen

aus trüben Sinnen, sind die beiden Augen

geschlagen daß sie fürderhin nicht taugen

ein Weib, das nach ihn blicket, anzusehen.

 

und stehn als zweene sehnliche Beginne

zu weinen, und ein Leiden zu beweisen,

und weinten schon so sehre, daß ihn Minne

als märtelkronen schuf von blutigen kreißen.

 

Gedanken und die Seufzer ausgetrieben

werden im Herzen mir ein solch ertoben,

daß Minne drinnen wankt; so muß ihrs leiden:

 

Drum daß sie innen tragen voller Schmerzen

Meinfrauen süßen Namen eingeschrieben

und da zu wort genug von ihrem Scheiden.

 

 

 

Ah Pilgerim die ihr in Gedanken reiset,

leicht um ein Ding das euch hie nicht vor handen –

und kommet ihr von also fernen Landen,

als ihr bei der  Gebärde mir beweiset?

 

Wie weinet ihr nun nicht, und da eur kommen

geschiehet durch die mitten Stadt der wehen?

und seid ja noch wie solche an zu sehen,

so gar nicht von ihr Kümmernis vernommen!

 

Verweilet ihr und wollt ihr hören klagen:

Wahrlich, mir sagt das Herze in Seufzer gießen

daß ihr in Tränen kommen sollt von dann.

 

diese hie hat verloren ihr Biatrisen,

und Wort das einer möchte von ihr sagen

hat macht, die andre weinen machen kann.

 

 

Vor bei was Speeren welzet um das meiste

fährt mein Erhauch von Herzen anbeginne:

Erfahrenheit um ein neu Ding, das Minne

weinende ihm eingab, zücket ihn ins Freiste.

 

so er gelanget dar er sehnede reiste

sieht er ein Frauen solcher Ehren inne

und liehte erhöhet, daß ob ihrem Brinne

in Blicke ein Staunen wird dem Pilgrim Geiste.

 

sieht sie also, daß wenn er michs bewiesen,

ichs nicht vernehmen mag, er spricht so mißlich

zum schweren Herzen, das ihn reden thut:

 

Daß er die Edle meinet, ist mir gewißlich

drum daß er oft gemahnet an Biatrisen,

ihr Frauen teure: und da versteh ichs gut.